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Uhrzeit/ 07:23:37 // Datum/ 2024:Mar:29 / letzte Änderung



 Kuschelwarmer Feierabend

Stress. Sie kam durch die ständigen Anrufe nicht dazu, ihr Frühstück zu sich zu nehmen. Trotzdem fühlte sie sich auf dieser Arbeitsstelle wohl. Wenn jemand sie fragen würde, wie lange sie schon in dieser Firma arbeitet, so würde sie erst einige Zeit überlegen müssen. Sie war schon lange dabei. Für sie war die Zeit unheimlich schnell vergangen. Sie war Anfang 50 und sah immer noch passabel aus. Klar, ihr Gesicht wies Falten auf, aber ihr schönes Haar und die straffe Figur zogen noch immer die Blicke der Männer auf sich.
Die Kinder waren aus dem Haus. Da ihr Mann bereits vor zwei Jahren das Ende seiner Karriereleiter erreicht hatte, verliefen die Abende und die Wochenende auch ruhiger. Als er noch daran zu tun hatte, nach oben zu kommen, musste sie so manche seiner Niederlagen beschwichtigen und ihm Mut machen. Sie hatten jetzt genügend Zeit für sich. An den Wochenenden unternahmen sie meist etwas. Besonders liebte sie die ruhigen Radtouren zu den kleinen Sehenswürdigkeiten der Umgegend. Dabei fand sie Entspannung. Ihr Mann war noch immer sehr aufmerksam zu ihr. Allerdings fuhr er am liebsten dorthin, wo „etwas los war”! In die Düsseldorfer Altstadt im Hochsommer zum Beispiel. Sie wusste, dass ihr Mann gerne herausgeputzten Frauen hinterher schaute. Finanziell hatten sie schon lange keine Sorgen mehr. Von Zeit zu Zeit betreuten sie ihre Enkelkinder. Sie war mit sich und ihrem Umfeld zufrieden. Heute hatte sie besonders viel zu tun. Ihre Kollegen waren schon längs zu Hause. Routiniert und zufrieden arbeitete sie eine Aufgabe nach der anderen ab. Für die nächste Vorstandsbesprechung arbeitete sie schon einige Themen an.
Dann machte sie endlich Feierabend. Wie gewohnt ging sie zum Fahrstuhl. Sie dachte gerade an die Rechnung, die sie vorgestern gefunden hatte. Sie konnte nichts damit anfangen. Ihr Mann auch nicht. Wie sollte er denn in einem Hotel in Mannheim übernachtet haben, wo er doch auf Dienstreise in Hannover war. Ausgerechnet Mannheim. Außerdem hatte sie doch mit ihm telefoniert. Da huschte ein Schatten hinter der Glastür vorbei. Sie drehte sich um. Nichts war mehr zu sehen. Sicher hatte sie sich geirrt. Sie bestieg den Fahrstuhl zur Tiefgarage. Sie zuckte plötzlich zusammen, weil der Fahrstuhl in der nächsten Etage hielt. Die Tür ging auf. Sie wartete, doch niemand stieg zu. Die Tür begann sich zu schließen. Sie zuckte zusammen. Bevor die Tür völlig verschlossen war, knallte eine Tasche in den Türspalt. Die Tür wurde am Schließen gehindert. Sie konnte noch niemanden erkennen. Die Tür ging wieder auf. Es dauerte, bis sie begriff, wer sie ansprach: „Ach. Hallo Freh. So spät noch? Wäre mir doch fast der Fahrstuhl vor der Nase weggefahren!” Sie lächelte und sagte erleichtert: „Also Glück gehabt!” Und meinte eigentlich sich.
Der Mann stieg eine Etage vor ihr aus. Die Lampen reagierten und schalteten sich an, wenn sie näher kam. Die Eisen an den Hackenschuhen klackten mutmachend durch den Gang. Sie spürte etwas, von dem sie nicht wusste, was es war. Etwas nicht kontrollieren zu können machte ihr Angst. Sie war damals, als sie merkte, dass ihr Mann verändert war, erst erleichtert, als der Privatdetektiv ihr die Personalien der Frau gab. Das war keine Frau, die ihr gefährlich werden konnte. Sie ließ die Frau entschädigen. Danach bemerkte sie mit Genugtuung die Veränderungen an ihrem Mann.
Sie ging durch die Tür. Mit einem Hacken verhakte sie sich an einer Schwelle. Als die schwere Brandtür ihr gegen den Hintern stieß, erschrak sie. Der Stoß war ziemlich heftig. Sie wäre fast hingefallen. Mit der linken Hand krallte sie die Handtasche fester und mit der rechten Hand stützte sie sich an der Wand ab. Der Hacken brach ab und steckte zwischen Eisen und Beton der Schwelle. Humpelnd ging sie weiter. Sie sah wirklich gut aus. Langes blondes Haar. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille und hellroten Lippenstift. Die Augen waren nur leicht geschminkt. Die Bluse war vorn ein wenig ausgeschnitten, hinten aber reizend tief. Zum kurzen Rock - sie konnte wirklich sehr kurz tragen – trug sie schwarze Nylonstrümpfe. Sie sagte zu sich öfter, sie ziehe ihren Kampfanzug an, wenn sie so in die Firma fuhr. Wenn ihre Untergebenen nicht wussten, wo sie wegen des kurzen Rockes hinblicken sollten, wenn sie diese in ihrem Büro rügen musste, bereitete ihre Position ihr besondere Freude. In letzter Zeit hatte sie einigen Gegenwind in der Firma. Die Hackenschuhe forderten einige Balance. Ohne den rechten Hacken noch mehr. Sie humpelte zum Wagen. Von Weitem bediente sie den Türöffner. Das Auto quittierte das mit drei Warnblinkern. Nur noch wenige Meter bis zum Wagen. Dann plötzlich schlug die Tür, durch die sie eben noch gekommen war, wieder heftig zu. Blitzartig drehte sie sich um. War da jemand? Hatte sie etwas gesehen? Ihr Herz begann heftig zu schlagen. Trotzdem beruhigte sich wieder. Aber sie konnte den Hacken in der Schwelle nicht mehr sehen. Wo war der geblieben? Sie hatte ein Ersatzpaar im Wagen, welches sie mehr mochte. Versehentlich ließ die sie die Autoschlüssel fallen. Als sie sich bückte sah sie einen Schatten und begriff nichts mehr. Das Betäubungsmittel wirkte schnell. Die Gedanken spielten noch mit den Wechselschuhen. Dann nahm sie eine Frage in die Bewusstlosigkeit mit. War da der Duft eines bekannten Rasierwassers? Alptraum.
Jemand versuchte, ihr die Bluse zu öffnen. Er war sehr jung. Sie hatte noch keinerlei Zustimmung dafür gegeben. Das gefiel ihr nicht, und sie wehrte sich heftig. Sie schlug um sich und spürte doch, das ihre Hände gefesselt waren. Sie wollte schreien und kein Laut ertönte, weil sie die Lippen nicht auseinander bekam. Dann war sie kurz davor, wach zu werden und begriff, dass man sie gefesselt und geknebelt hatte. Die Augenbinde ließ kein Licht durch. Sie wurde entführt. Das Gehirn arbeitete fieberhaft. Das Bild ihres Mannes tauchte in ihren Gedanken auf. Hatte sie ihn gestern in der Stadt gesehen? Da war eine Frau bei ihm, die sie nicht kannte. Das war plötzlich sicher! Oder doch nicht? Aber er wollte bei einer Testamentseröffnung dabei sein. Also doch ein Anliegen, welches sie und ihn betraf? Hatte er eine Erbschaft gemacht? Da waren Hinweise. Ja, er hatte sie auf einen anderen Zeitpunkt für eine Unterredung gestern nach einer kurzen Diskussion gebeten. Dabei hatte er so merkwürdig geschaut. Der Gedanke kam blitzartig. Ihr wurde wieder schwindelig, als sie an den Schatten dachte, der am Fahrstuhl hinter ihr verschwunden war. Jetzt wusste sie es. Der Schatten hatte sich bewegt wie ihr Mann, als er vor einigen Jahren ein Räuberkostüm für den Fasching an hatte und eine Szene mit Anschleichen zu einem Überfall spielte. Und dann dieses Rasierwasser. Es war zu teuer für „normale” Entführer. Sie versuchte heftig, sich zu befreien.
Leider konnte sie sich auch nicht nur einen Hauch aus den Fesseln bewegen.
Durch die Autofahrt wurde sie leicht hin und her bewegt. War doch ihr Mann derjenige, der die Rechnung in Mannheim verursacht hatte? Hatte er eine andere Frau und wollte sie loswerden? So große Reichtümer hatte sie doch auch wieder nicht, dass sich eine Entführung lohnen würde. Gewiss sie verdienten beide sehr gut, gaben aber fast alles zum Leben und für die Absicherung für später aus. Wurde sie doch nicht von ihren Mann entführt?
Hatten sie vom Onkel ihres Mannes geerbt? Der hatte ihr so etwas angekündigt. Der konnte sie gut leiden, seinen Enkel nicht besonders. Er hatte keine eigenen Kinder.
Ein Handy klingelt. Die Stimme ihres Mannes antwortet kurz: „Alles klar!” Mit wen sprach er? Welchen Ausdruck sein Gesicht wohl bei den Worten gehabt hatte? Selbst wenn sie sterben müsste, da waren die Überwachungskameras, dachte sie. Wenigstens würde man ihren Mann zu fassen bekommen. Dann fingerte er an ihrer Augenbinde. Sie stierte in die Dunkelheit und versuchte sich zu bewegen. Sie sah in das Gesicht des Kollegen, den sie gerade in dem Fahrstuhl getroffen hatte. Sie verstand nicht, worum der mit der Stimme ihres Mannes gesprochen hatte. Der Kollege sagte, und es war die Stimme ihres Mannes: „Da staunst du nicht?" Dann sah sie lachende Augen hinter einer Maske.
Es war eine Maske, die Stimme gehörte wirklich zu ihrem Mann. Dann nahm er lachend die Maske ab. Sie dachte: „Gleich wird er den Spaß beenden und die Fesseln abnehmen.” Aber das Auto bog in eine Waldstück ein. Sollte das ein etwas anderer Ausflug werden? Wollte ihr Mann so ausdrücken, das sie zu viel arbeitete und ein verlängertes Wochenende irgendwo mit ihr verbringen? Die Angst wich nicht ganz. Die Kontrolle hatte er nicht sie! Sie wusste auch nicht, wie lange sie bewusstlos gewesen war und wo sie waren.
An einer besonders dunklen Stelle hielt der Wagen. Ihr Mann stieg aus und hantierte am Kofferraum herum. Plötzlich schossen diese merkwürdigen Gedanken durch ihren Kopf. Die Familie ihres Mannes bestand nur noch aus seinem Onkel. In den letzten Jahren war die Tante verunglückt. War sein Vater im Alter von 85 Jahren friedlich eingeschlafen? Die Nichte war spurlos verschwunden. Sie wollte in den Urlaub fahren, kam aber nie an. Der Onkel hatte ein riesiges Vermögen aufgebaut Ihr Mann hatte nicht gesagt, zu wessen Testamentseröffnung er ging, sie dachte zu einer Testamentseröffnung einer seiner Kunden. War der Onkel vielleicht gestorben? Sie seufzte in den Knebel und zuckte zusammen. Die Fesseln schnitten in die Arme und Beine. Dann ertönte klar und etwas amüsiert die Stimme ihres Mannes: "Guten Morgen Freh! Ich dachte schon wir würden uns nicht mehr unterhalten können. Schließlich waren wir 25 Jahre zusammen!" Sie überlegte, warum sie es so lange miteinander ausgehalten hatten? Er setzte fort und ihr wurde einiges klar: „Ich bin dir eine Erklärung schuldig. Ja, du hast alles geerbt. So wie du immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden hast. Immer du! Du hast auch eine bessere Karriere gemacht. Die Kinder hatten auch - er sprach schon in der Vergangenheitsform von ihr - ein besseres Verhältnis zu dir. Ich war nur der Samenspender. Der Trottel dem du damals sein Spielzeug weggenommen hast. Ja, ich hatte eine Freundin. Meine Karriere ist vorbei, deine würde immer weiter gehen. Würde! Ja du bist im Vorstand. Du hast soviel Glück in deinem Leben gehabt.”
Sie konnte nichts sagen, da ihr etwas Ungeheuerliches durch den Kopf schoss. Hatte der Onkel ihres Mannes es wahr gemacht und sie mit dem Vermögen bedacht? Hatte ihr Mann mit der hohen Sterberate der letzten Zeit In der Familie zu tun?
Er ahnte wohl ihre Gedanken. Ja du hast geerbt! Nur wenn du tot bist, bekomme ich das Geld.
Ihr würde nichts mehr nützen. Er öffnete ihre Fußfesseln und drängte sie, sich zu erheben. Sie wurde weiter gedrängt. Die Wolke, die den Mond bedeckte, verschob sich. Sie sah ihr Grab. Die Waffe blitzte im Mondlicht. Dann hörte sie nur den millionsten Teil des Flop der Schalldämpferwaffe. Sie war tot. Der Leichnam fiel in die Grube.

JSEGG//12.05.2006



© Jörg Segger